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„Verlieren wir im digitalen Rausch unsere Lebensfreude, Emotionalität und Beziehungsfähigkeit?“

Episode aus dem Buch: „Störfall Mensch!“ von Thomas Wehrs

Angst vor der Digitalisierung: Vater soll diese im Job vorantreiben

Bruno Backes und die Digitalisierung

Ein typischer Abend: Bruno kommt vom Job nach Hause. Heute allerdings ziemlich genervt. Sich so wie sonst aufs Abendbrot freuen kann er gar nicht. Seine Frau Irma sitzt am Computer – völlig gefangen von Facebook, WhatsApp und Pinterest. Er wirft seine Arbeitstasche an die Garderobe und stapft ins Esszimmer. Dort ist der Tisch für drei gedeckt. Bruno ruft ins Nebenzimmer: „Hallo, Irmchen, bin zu Hause.“ Keine Reaktion. Irma ist zu beschäftigt, um ihn wahrzunehmen. Er geht hinüber und beugt sich über ihre Schulter. Irma schrickt leicht zusammen.

„Du bist es schon?“ – „Ja, wer sonst?“  Brunos Laune wird nicht besser. Irma dreht sich um. Nach 16 Jahren Ehe kennt sie ihn gut. Das ist nicht der gut gelaunte Mann, der am Morgen das Haus verlassen hat.  „Was’n los?“ Bruno poltert geradeheraus, sein Kopf wird hochrot: „Stell dir vor – in der Firma soll jetzt alles anders werden. Digitale Transformation nennt sich das.“ So wie er den Begriff ausspuckt, wird klar, was er davon hält.

Als der kleine Sohn sich zum Händewaschen verzieht, prustet Bruno neu los:  „Konrad hat es heute offiziell verkündet. Im Team-Meeting. Da war auch ein externer Berater dabei, der hat uns das offenbar eingebrockt. Ich hab ja schon was läuten hören … Der ganze Betrieb muss mitmachen. Digitale Transformation heißt die Chose. Internet ist ja längst, aber jetzt wird die Orga vollkommen umgekrempelt, die Disposition, Lagerhaltung, das Kundenarchiv, meine Abteilung auch. Der Chef sagt, dass es eine Riesenerleichterung für uns wird und wir damit endlich in der Moderne ankommen und so weiter und so weiter … Und ich muss mein Team auf Vordermann bringen. Und überhaupt – ich hab doch kaum Erfahrung mit der digitalen Technik, lief doch bisher gut – bin halt noch Old School, brauch Papier und Stift. Punktum.“ Irma wirkt gelangweilt: „Internet und Facebook kann doch nun wirklich jeder stemmen. Du … ich hab schon 344 Facebook-Freunde.“ „Mensch, Süße!“ Bruno schluckt. „Die sind doch nicht real.“ –

„Doch, sind sie! Spaßverderber!“ Wieder diese leichte Zornesfalte. Dann lenkt sie ein: „Nu mach dich nicht verrückt – das lernst du auch, du bist doch schlau.“ Brunos Gesicht spricht eine andere Sprache. Als ob es nur darum ginge. Es ist mehr als klar: Er muss seine Komfortzone verlassen und sich der neuen Zeit stellen. Ihm ist ganz flau. „Mit meinen Leuten hab ich mich doch immer gut verstanden, das flutschte ohne viel autoritären Kram. Was werden die sagen, wenn ich jetzt den Obermacker gebe … Und die neuen Techniken können alles und jeden überwachen, sagt der Tom aus der IT, die kontrollieren, ja steuern alles – eines Tages brauchen die mich gar nicht mehr …“

Irma drückt ihm einen Kuss auf die Wange. „Hör mal, ich hab mich doch auch umgestellt. Das is’n Klacks.“

Er kneift die Augen zusammen, sein gutmütiges Bibergesicht zieht sich in Falten. „Na ja, dein Kosmetikkram ist vielleicht nicht mit meinen Aufgaben zu vergleichen, oder? Unsere Speditionswagen sind in ganz Europa unterwegs … ich hab da eh schon ’ne Mords-Verantwortung und überhaupt … und jetzt noch mehr Aufgaben. Als ob ich nicht schon genug am Hals hätte.“ „Macho!“ Dann wird sie weicher. Ihr Männer meint das ja nicht so. „Ich versteh ja, dass du da ein bisschen Schiss vor hast. Aber das ist nun mal der Lauf der Zeit.“ Ihr Handy vibriert, Irma hat nur noch Ohren dafür, und Bruno verzieht sich.

Beim Fernsehen geht Bruno das Thema noch mal an: „Du, der Tom aus der IT-Abteilung kam gleich auf mich zu. Mensch, sagte er, Elvis, ach nee, Bruno – biste jetzt auch endlich im digitalen Zeitalter angekommen? Guckte ganz herablassend. Dann bot er mir seine Unterstützung an, aber es klang nicht gerade kollegial. Und Peter und Matthias – die aus meinem Team – frotzelten herum: Musst du jetzt Internet lernen, was? Na, in deiner Haut möchten wir nicht stecken.“  „Ach, hör nicht auf die“, meint Irma geistesabwesend, denn schon wieder meldet sich ihr Mobile, im Fernsehen läuft ihre Lieblingsserie „Game of Thrones“, und da sind noch acht WhatsApp-Messages, die sie noch nicht registriert hat. Und die Schwiegermutter wollte auch zurückgerufen werden. Das könnte eigentlich Bruno machen. „Meine Abnehmer finde ich alle auf Facebook“, zischt sie noch, „und das Zubrot von meinem Online-Kosmetikvertrieb ist ja auch nicht ohne, oder?“ Bruno fühlt sich angegriffen. „Hör mal, mein Gehalt ist okay.“ „Ja, ja.“ Irma hat längst die Ohrstöpsel eingesteckt.

Bruno sinniert. Wie hat er sich eigentlich als junger Mann sein Leben vorgestellt? Er ist ganz zufrieden, wie es so gelaufen ist, sie haben alles, was sie sich mal gewünscht haben: gesunde Kinder, ein Häuschen, okay, nicht sehr groß, aber Eigentum, bald abgezahlt, Irmas kleiner Flitzer, der Job ist sicher, jährlich Campingurlaub am Gardasee oder in Lloret de Mar, ab und zu ein kleines Extra.

Und nun das. Digitale Transformation. Grummel.

3 Fragen an den Autor Thomas Wehrs

Frage 1: Herr Wehrs, wie kamen Sie auf die Idee ein Sachbuch zum Thema Digitalisierung mit einer fiktiven Familiengeschichte zu kombinieren? In dieser Art ist das etwas ganz Neues.

Thomas Wehrs: Als ich vor zwei Jahren startete das Thema zu recherchieren, fiel mir auf, dass Figuren einer fiktiven Familie, durch ihre persönlichen Erlebnisse, ihre täglichen Begegnungen im beruflichen und privaten Leben das besser darstellen konnten. Ich wollte kein klassisches Sachbuch schreiben und suchte nach einer erzählerischen Version ohne einen normalen Roman zu verfassen. Ich fand es spannender den Lesern eine Kombination von Fiktion und Sachbuch anzubieten. So erfand ich das narrative Sachbuch.

Frage 2: In der Geschichte hadert die Hauptfigur mit der Digitalisierung. Werden die gestandenen Familienväter demnächst reihenweise abgehängt?

Thomas Wehrs: Nein, das glaube ich so nicht. Die Frage ist verständlich und die Versuchung ist groß, nach einer einfachen Antwort zu suchen, die für alle gilt. Aber das führt meiner Meinung nach nur zu Pauschalurteilen und Grabenkämpfen a la „Die Digitalisierung ist schlecht“ oder „die Digitalisierung ist gut“. So einfach ist es nicht.

Es stimmt schon – viele Menschen fühlen sich im ersten Moment verunsichert – vielleicht sogar bedroht von der Digitalisierung. Das ist eine natürliche, menschliche Reaktion: Da ist etwas Unbekanntes, das muss erst mal eingeschätzt und erlebt werden. Aber ich halte pauschale Angstmache für falsch. Natürlich gibt es reihenweise Sensationsjournalismus und den Abgesang auf „die gute, alte Zeit“. Es hilft nur leider niemandem.

Frage 3: Sie haben als Berater und Coach auch mit Menschen zu tun, die in genau solchen Situationen stecken, wie Bruno Backes. Was hilft, wenn man mitten drin steckt?

Thomas Wehrs: Nun, zunächst mal hilft es, sich offen und ehrlich damit auseinander zu setzen. In der Geschichte zeigt Bruno Backes seinen Unmut über die anstehenden Veränderungen. Auch das ist eine natürliche, menschliche Reaktion. Gefühle zu unterdrücken oder gar zu verdrängen hilft auf lange Sicht niemandem.

Und dann kann es förderlich sein, das Gespräch zu suchen. Wir sind soziale Wesen. Das heißt wir suchen instinktiv die Gemeinschaft mit anderen – ganz besonders in Situationen, die uns herausfordern. Das ist oft der erste Schritt, eine Situation nochmal aus einer anderen Perspektive zu sehen und zu entdecken, welche Handlungsmöglichkeiten man hat.

In der Geschichte bekommt Bruno eine kleine Retourkutsche. Seine Frau ist eben schon weiter und agiert schon deutlich selbstbewusster in und mit den digitalen Medien. Aber er bekommt auch Verständnis und Ermutigung. Das tut uns Menschen immer gut.

Ein richtiges Gespräch ergibt sich hier noch nicht. Das ist auch eine der Gefahren unserer Zeit – dass wir uns ablenken lassen und Zeit online verbringen, statt im Hier und Jetzt, wo jemand unsere Aufmerksamkeit braucht. Das ist nicht wirklich neu – jedoch die Versuchung ist durch Facebook, WhatsApp und Co. größer und leichter geworden. Andererseits ist die Geschichte ja noch nicht zu Ende. Und wir werden in den späteren Kapiteln sehen wie Bruno Backes andere Wege findet die Digitalisierung positiv und herausfordernd zu sehen.

Über den Autor

Thomas Wehrs ist als Systemischer Coach, Organisationsberater und Dozent in Berlin tätig. Er berät bundesweit Führungskräfte, Selbstständige und Unternehmen zu Management- und Organisationsfragen und begleitet in Veränderungsprozessen der digitalen Transformation. Info: www.thwehrs.com. Das Buch „Störfall Mensch!“ von Thomas Wehrs ist erhältlich unter www.stoerfall-mensch.com

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