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Deutsche Wirtschaft: Vom Zugpferd zum „kranken Mann Europas“?

Hohe Energiepreise, Corona, Ukraine-Krieg, Inflation und Zinswende – die Dauerkrisen der vergangenen Jahre haben der deutschen Wirtschaft spürbar zugesetzt. Viele Unternehmen müssen sich grundlegend anpassen – dabei sehen sie auch den Staat in der Verantwortlichkeit, endlich Maßnahmen zu ergreifen.

Die deutsche Bank hat im November dieses Jahres im Rahmen einer Sonderumfrage feststellen können: Über 80 Prozent der Mittelständler sind, aufgrund der wiederholten Krisen der vergangenen Jahre, von einer geringeren Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft überzeugt.

Geringere Wettbewerbsfähigkeit durch Krisen

Die britische Wochenzeitung „The Economist“ stellte sich vor ein paar Wochen die Frage: Ist Deutschland der „kranke Mann Europas“? Eine Minderheit der deutschen mittelständischen Unternehmen ist tatsächlich dieser Ansicht. Das Problem dabei? Die „Minderheit“ sind 46 Prozent der im Rahmen der Umfrage befragten 1.000 Unternehmen. Bei Unternehmen in der Bauchbranche und im Energiegewerbe sowie in ostdeutschen Bundesländern stimmt sogar eine deutliche Mehrheit dieser These zu.

Der Hauptgrund hierfür könnten die Energiepreise sein, welche in Folge des Ukraine-Kriegs und der Energiekrise explodiert sind. Problematisch war zudem, dass Deutschland vorher überaus abhängig von russischen Energielieferungen war. So dürften die Energiepreise – solange keine Gegenmaßnahmen getroffen werden – im internationalen Vergleich in Zukunft weiterhin hoch ausfallen. Weitere Gründe sind die Bürokratie, Defizite bei der Digitalisierung der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung. Deutlich zu sehen sind diese Probleme auch in einem schrumpfenden Bruttoinlandsprodukt – unter den zehn bevölkerungsreichsten Mitgliedsstaaten der EU wuchs das deutsche BIP 2022 am geringsten.

Die deutsche Wirtschaft hat die dauerhafte Krisenlage ohne längere Erholungspausen in den vergangenen Jahren zugesetzt. Besonders die exportorientierte Wirtschaft hat unter den globalen Krisen und durch die mit der kurzfristigen Umstellung der Gasversorgung einhergehenden Unsicherheit gelitten. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass angesichts dieser Entwicklungen über 80 Prozent der Mittelständler die Meinung vertreten, Deutschland habe an Wettbewerbsfähigkeit verloren.

Scharfe Maßnahmen gegen anhaltende Konjunkturschwäche

Fest steht auf jeden Fall: Für den Wettbewerbsverlust muss eine Lösung her. Eine kurzfristige Gegenmaßnahme wäre ein günstiger Industriestrompreis. Die Begeisterung hierfür ist in Branchen des verarbeitenden Gewerbes – besonders im Agrarsektor – groß. Eine große Mehrheit im mittelständischen Handel findet diesen Vorschlag allerdings ungerecht, da sich die Subventionierung des Industriestrompreises auf die Industrie beschränken soll. Außerdem soll die Ermäßigung durch die Steuermittel der breiten Masse finanziert werden. Damit würden die Kosten von privaten Konsumenten getragen und von Unternehmen, die am Ende gar nicht von der Stromermäßigung profitieren können.

Die weiterhin anhaltende Inflation betrifft alle Branchen. Sie beeinflusst nicht nur die Kostenseite der Unternehmen, sondern senkt auch die Nachfrage der Kunden. Private Haushalte müssen sich in ihrem Konsumverhalten zurücknehmen. Die Konjunkturschwäche macht sich sowohl bei Dienstleistungen als auch im Einzelhandel und der Industrie bemerkbar. Letztere bleibt in der Produktion aufgrund der geringen Auftragslage weiterhin hinter dem Vor-Corona-Niveau zurück. Der Wohnungsbau ist am stärksten betroffen, da wegen der Zinswende weniger Baugenehmigungen erteilt wurden.

Laut Studie ist beinahe ein Drittel der Mittelständler muss nach Energiesparmaßnahmen, die durch die Energiekrise notwendig geworden sind, nun zu schärferen Maßnahmen greifen und denkt angesichts der Umstände über eine kurzfristige Umstrukturierung des Unternehmens nach. Das sind vor allem energieintensive Branchen wie die Chemieindustrie und das Ernährungsgewerbe. Grundsätzlich gilt: Je größer das Unternehmen, desto weniger notwendig ist eine Umstrukturierung.

Deutlich relevanter ist auch der Gedanke geworden, die Produktion oder Unternehmenstätigkeit vollständig neu auszurichten. Angesichts der Energiekrise zogen noch 17 Prozent der Unternehmer diese Überlegung in Betracht, aktuell sind es 30 Prozent, so die Studie.

Mittelstand befürwortet Exportmodell der deutschen Wirtschaft

Mittelständische Unternehmen konzentrieren sich vorwiegend auf den Heimatmarkt. Trotzdem befürwortet eine große Mehrheit das Exportmodell der deutschen Wirtschaft. Die Zustimmung fällt besonders bei den Unternehmen groß aus, die einen Jahresumsatz von über 25 Millionen Euro machen. Das ist wenig verwunderlich, da sich größere Unternehmen tendenziell vermehrt im Ausland engagieren. Aber auch kleinere Betriebe, die stärker auf Inlandsanfrage angewiesen sind, unterstützen das Exportmodell der deutschen Wirtschaft.

Gleichzeitig kritisieren 60 Prozent der Mittelständler die starke Abhängigkeit von China, so die Angabe in der Sonderbefragung. Das ist auch durch die Lieferengpässe in den Jahren 2021 und 2o22 noch einmal deutlicher geworden. Die Volksrepublik China war im vergangenen Jahr zum siebten Mal nacheinander Deutschlands wichtigster Handelspartner. Grund hierfür sind vor allem die hohen Importe aus China – die deutsche Wirtschaft ist sehr stark auf manche Rohstoffe wie etwa seltene Erden angewiesen.  Die Mittelständler sind zwiespältig bezüglich zukünftiger Geschäftstätigkeit mit China: Der Anteil der Befragten, die die Geschäfte mit China in den nächsten fünf Jahren ausbauen wollen – das ist der Handel, die Agrarbranche und die Elektroindustrie – ist genauso hoch wie der Anteil derer, die das Gegenteil befürworten.

 

Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands ist in den vergangenen Jahren mehr und mehr in Gefahr geraten. Dass ein Drittel der in der Studie befragten Unternehmen angibt, krisenbedingt die Umstrukturierung oder sogar eine Neuausrichtung des eigenen Unternehmens in Angriff zu nehmen, unterstreicht die schwierige Lage, in welcher sich die deutsche Wirtschaft befindet.

Immerhin: Der Wunsch nach Entlastungen beim Strompreis ging mittlerweile in Erfüllung. Die Bundesregierung hat einen Zuschuss zu den Netzentgelten beschlossen, die Teil des Strompreises sind, sowie eine Senkung der Stromsteuer des produzierenden Gewerbes auf den in der Europäischen Union zulässigen Mindestwert.

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