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Warum die Brexit-Befürworter klar verloren haben

Der Schock saß tief bei den meisten Menschen, die mit dem guten Gefühl eines wahrscheinlichen Sieges der Brexit-Gegner am Mittwoch ins Bett gegangen waren, und dann am Donnerstag mit dem 48,1 : 51,9 zugunsten eines Ausscheidens Großbritanniens aus der EU geweckt wurden. Die Börsen rauschten in den Keller, das Britische Pfund fand sich zeitweise auf einem Dreißigjahrestief wieder. Brexit – das Undenkbare schien Realität geworden zu sein. Ein Albtraum auch für Bayern, das die Briten in seiner Aussenhandelsbilanz auf Platz zwei führt.

Tatsächlich aber ist das Ergebnis des Referendums eine herbe Niederlage für die Brexit-Befürworter, und vieles deutet darauf hin, dass sich das ausgesprochene Votum im Vereinigten Königreich so nicht wird umsetzen lassen. Bindend ist das Votum ohnehin nicht, sondern nur eine Empfehlung des Wählers an die Regierung. Betrachtet man das Ergebnis im Detail, so wird schnell klar, in welcher ausweglosen Lage sich die nächste Regierung Großbritanniens befinden wird. 64 Prozent der Jugendlichen bis 24 Jahre haben sich gegen einen Brexit ausgesprochen, ebenso mit großer Mehrheit das ohnehin auf Dauer-Unabhängigkeitskurs befindliche Schottland (62 Prozent Brexit-Gegner) , und auch Nordirland hat mit 55,8 Prozent ein klares „Remain“ ausgesprochen. Und die Hauptstadt London, mit 60 Prozent Remain-Wählern ebenfalls ganz klar positioniert, fantasiert bereits von einer separaten EU-Mitgliedschaft jenseits der zukünftigen Rolle Großbritanniens. Auch eine Petition für ein erneutes Referendum wird nach aktuellen Medienberichten bereits von Millionen von Unterschriften befeuert.

Dem Königreich droht der Zerfall

Was bedeutet dies für die Umsetzung des Brexit nach Artikel 50 der Lissabon-Verträge? Es ist fast mit Sicherheit davon auszugehen, dass das schottische Parlament den offiziellen Brexit, der von der britischen Regierung beschlossen und gegenüber der EU verkündet werden muss, boykottieren wird. Sich über diese Entscheidung hinwegzusetzen dürfte genauso schwierig werden, wie die Position der Nordiren zu ignorieren, die sich noch ein Stück komplexer gestaltet. So verläuft die Trennlinie der Befürworter und Gegner exakt an der brisanten Konfessionslinie entlang, die bis 1998 hinein zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen in der Region gesorgt hatte. Nordirlands Katholiken wollen in der EU bleiben, die Protestanten hingegen den Brexit. Auch der Dämon des Bürgerkriegs, die Wiedervereinigung mit der Republik Irland, spukt plötzlich wieder durch die mühsam befriedete Region.

„Wir müssen das nicht tun“ betont denn auch der britische Labour-Politiker David Lammy im „Guardian“ und verweist auf eine Abstimmung im Parlament, die als Gegengewicht zum Brexit-Referendum für ein völlig neues Ergebnis sorgen würde. Aktuell ist die große Mehrheit der 650 Abgeordneten für einen Verbleib Großbritanniens in der EU. Doch werden die Abgeordneten tatsächlich ihre eigenen Wahlkreise überstimmen?
Niemand kann die Briten aus der EU werfen

Auch eine Wiederholung des Referendums mit einem neuen Zusatz, der eine Wahlbeteiligung von mindestens 75 Prozent und mindestens eine 60 : 40-Entscheidung verlangt, wird ernsthaft diskutiert. Eine entsprechende Petition für diese Rahmenbedingungen wurde bereits Ende Mai aufgelegt.

Großbritanniens Premier David Cameron jedenfalls hat seinem Nachfolger – aller Wahrscheinlichkeit nach Londons Ex-Bürgermeister und Brexit-Triebfeder Boris Johnson – eine kaum lösbare Aufgabe hinterlassen. Setzt er das Referendum um, droht der Zerfall des Königreichs, aus „Great Britain“ könnte innerhalb kürzester Zeit ein „Little England“ werden. Setzt er es nicht um, könnte seine politische Karriere von sehr kurzer Dauer sein. Böse Zungen behaupten zwar schon jetzt, dass Johnson die gesamte Brexit-Kampagne nur genutzt hat, um das Amt des Premierministers zu ergattern, einer tatsächlichen Umsetzung jedoch gar kein Interesse hat. Doch der Unmut unter seinen Anhängern wächst schon jetzt, nachdem die ersten Versprechen der avisierten EU-Unabhängigkeit („jede Woche 350 Millionen Euro in das britische Gesundheitssystem“) öffentlich als „Fehler“ deklariert werden.

Letztlich bleibt die Entscheidung bei den Briten: Nur wenn sie Artikel 50 der Lissabon-Verträge tatsächlich auslösen, beginnt der Exit-Mechanismus – dann allerdings ist er unumkehrbar. Hinauswerfen hingegen kann sie niemand. Und das wissen sie vielleicht allzu gut.

Ihr

Achim von Michel
Herausgeber, mittelstandinbayern.de

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