Mittelstand in Bayern
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„German Mittelstand“ schon der Zukunft zugewandt?

„German Mittelstand“ als Qualitätsbegriff für die prägende deutsche Unternehmensstruktur ist mittelfristig in Gefahr. Angesichts neuer Geschäftsmodelle zur Realisierung branchenübergreifender Innovationen warnt der als besonders industrienah geltende Zukunftslotse Thomas Strobel vor einem unbekümmerten „Weiter so…“. Mittelständler, wie auch ihre Interessenvertreter in den Verbänden, seien bereits für die nahe Zukunft zu vorausschauendem Denken über heutige Branchengrenzen hinweg verpflichtet.

Nischenmärkte, die heute von namhaften deutschen Firmen als „Hidden Champions“ weltweit besetzt sind, könnten in wenigen Jahren von neuartigen Kooperationsmodellen erobert werden. Strobel wörtlich: „Je mehr Kooperationen und Netzwerke die Zukunft prägen, desto weniger Nischen für Einzelne wird es geben. Je mehr interdisziplinär geprägte Funktionsintegration stattfindet, desto seltener wird ein Unternehmen alleine das erforderliche Know-how für komplexe Lösungen bereitstellen können.“ Der Münchner Experte, der im Auftrag kompletter Branchen wie Textil und Papier in Zukunftsprojekten erfolgreich den Blick auf die kommenden Jahrzehnte gerichtet hat, sieht besonders inhabergeführte Unternehmen vor strategischen Herausforderungen. „Die bisher abgeschotteten Familienunternehmen überleben nur dann, wenn sie sich frühzeitig auf neue Kooperationsmodelle vorbereiten“, so der 52-jährige Geschäftsführer der FENWIS GmbH.

„German Angst“ kein guter Berater

Laut Strobel kann der „German Mittelstand“ als Marke und Gütesiegel nur erhalten bleiben, wenn er durch aktive Unternehmer mit wahrnehmbarer Kreativität, Innovationskraft, Zukunftsorientierung und Kooperationsbereitschaft neu aufgeladen werde. Internationale Wertschöpfungsketten könnten durch Beteiligung führender Mittelständler von deutschem Know-how und vorausschauendem Vordenken profitieren. „Dabei muss dann das ‚deutsche Wollen‘ für den Weg in die Zukunft weitaus stärker sichtbar werden, als die inzwischen sprichwörtliche ‚German Angst‘.“ Bloßes Abschotten sei auf Dauer kein guter Plan, um das Know-how der „Nischenkönige“ künftig erfolgreich in Netzwerke einzubringen. Für lokale bzw. international tätige Familienbetriebe empfiehlt Strobel: Der lokal sichtbare Champion sollte sich überregional zum „Platzhirsch mit kundennaher Lösungskompetenz“ entwickeln – wie eine große Dachdeckerfirma, die in ihrem Netzwerk auch Lösungen für Solaranlagen und das Sammeln von Regenwasser als Kundennutzen anbieten kann – und das sowohl bei Neubauten als auch bei Sanierungen sowie für die Instandhaltung von Wohn-, Büro- oder Produktionsgebäuden.

Verändertes Nutzerverhalten verändert Produktionsweisen

Dagegen sollte sich ein international anerkannter Systemanbieter, zum Beispiel ein Hersteller von Autositzen, frühzeitig auf sich verändernde Marktanforderungen wie das Car Sharing reagieren. Die Verdreifachung der Nutzungsstunden in solchen Fahrzeugen im Mietbetrieb habe gravierende Auswirkungen auf Fahrzeugkomponenten wie den Fahrersitz, der dadurch wesentlich stärker beansprucht werde, sagt Strobel. Demzufolge müssten sich Zulieferer, Hersteller und Dienstleister in mehrfacher Hinsicht auf diese Entwicklung einstellen. „Die Produzenten werden einerseits weniger unterschiedliche Modelle herstellen, da Carsharing-Autos einheitlicher ausgestattet werden als Individualfahrzeuge. Andererseits müssen Autositze für die zu erwartenden höheren Belastungen entweder haltbarer ausgelegt sein oder mit Tauschbezügen bei Bedarf neu bestückt werden können.“ Damit entstünden vollkommen neue Dienstleistungen, die wiederum für Systemanbieter interessant sein könnten.

Bayern innovativ als Zukunftsmodell?

Einhergehend mit neuen Märkten, in denen es dem Nutzer egal sein werde, ob intelligente Gesundheitsunterwäsche von Herstellern aus den Bereichen Medizin, Gesundheit, Sportbekleidung, Unterwäsche oder IT komme, würden sich auch die heute immer noch an einzelnen Branchen orientierten Verbandsstrukturen verändern, zeigt sich der Zukunftslotse überzeugt. Die zentralen Fragen hier: Wie öffnen sich Branchenverbände für die interdisziplinäre Zusammenarbeit? Und was können bestehende oder neue Verbände für den German Mittelstand leisten, um die Kooperationsfähigkeit der Unternehmen mit ihrem Know-how zu stärken?
Der neue Zuschnitt der Verbände könnte nach dem Beispiel von Bayern innovativ als Zentrum für den Technologietransfer mit eigenen Netzwerken und Clustern erfolgen, sagt Strobel. Die Technologieagentur des Freistaates setze bereits voll auf Kooperationen und Vernetzung von mittelständischem Expertenwissen, um die Wettbewerbsfähigkeit der regionalen Akteure zu erhöhen. Ein Beispiel: Bevor die Unternehmen Kelheim Fibres und Krones einen Bierfilter auf Basis von funktionalisierten Viskosefasern statt Kieselgur entwickelten, waren zwei Firmenvertreter zufällig bei einer Veranstaltung von Bayern innovativ ins Gespräch gekommen…

Nutzer- statt Herstellerverbände?

Im Zusammenhang mit dem German Mittelstand plädiert der Zukunftslotse für Nutzer- statt Herstellerverbände. „Der Trend zur Lokalisierung wird mittelfristig globale Wertschöpfungsketten verkürzen. Eine regionale Orientierung von Verbänden, die branchenübergreifende, lösungsorientierte Vernetzung fördert, ist dann zukunftssicherer als rein branchenorientierte Strukturen. Denn sie können frühzeitig die Voraussetzungen für neue Erfolge ihrer Mitgliedsunternehmen schaffen und fördern.“
Möglicherweise wäre ein „Verband der Maschinen- und Anlagennutzer“, in dem auch Hersteller vertreten sind, künftig ideal für profitable Lösungen mit hohem Kundennutzen aufgestellt, weil er insgesamt näher an den Anwendungsanforderungen von morgen denkt und handelt. Industrieverbände, Politik und Wirtschaftsvereinigungen sollten laut Strobel über neue Formen nachdenken, wie Mittelständlern der Zugang zu Wissen über die Nutzungsprofile und zukünftige Anforderungen an die zugelieferten Materialien, Halbzeuge, Bauteile und Produkte besser ermöglicht werde. Dazu würde es helfen, wenn Verbände den Austausch suchten, Begegnungsplattformen für interessierte Unternehmer schafften und auch bei Messen branchenübergreifend Aussteller und Besucher zu Zukunftsthemen zusammenbrächten, zeigt sich Strobel überzeugt. Und mit Blick in die Zukunft sollte frühzeitig auch neues Material-, Werkstoff- und Produktionswissen mit Verbandsunterstützung in zukunftsorientierte Studiengänge aufgenommen werden, damit die neuen Möglichkeiten bald praxisnah in Konstruktion und Design einfließen.

BildAutor1 Autor: Technologiejournalist Hans-Werner Oertel (64) ist Gründer des Berliner Journalistennetzwerks InnoMedia, das schwerpunktmäßig innovative Ideen, Produkte, Verfahren und Dienstleistungen beschreibt. (Foto: InnoMedia)

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