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Der Spion, den wir liebten

Update: Knapp vier Wochen nach Veröffentlichung dieses Artikels berichtet die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 16./17. August auf der Titelseite unter der Überschrift „BND hörte Hillary Clinton ab“ über die Spionageaktiviäten Deutschlands in Richtung USA sowie eines nicht namentlich genannten NATO-Landes. Lesen Sie den gesamten Beitrag.
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Viel Empörung ist in den vergangenen Wochen und Monaten durch die Medien gegangen zum Thema „Spionage-Aktivitäten der USA“, und vieles ist in einen Topf geworfen und zu einer Grundsatzdebatte aufgebauscht worden, die für die Wirtschaft Europas und der USA viel weitreichendere Folgen haben könnte, als sich die Meinungsmacher vielleicht ausgemalt haben. Die pikanten Enthüllungen des Edward Snowden, die Enttarnung von Agenten und Doppelagenten in Berlin, die Affäre um das Handy der Kanzlerin – es entsteht der Eindruck, als seien die USA Tag und Nacht damit beschäftigt, die ganze Welt auszukundschaften und als setzten sie Energie und Ressourcen vornehmlich zur Unterstützung ihrer diversen Intelligence-Dienste ein.

So simpel ist es wahrscheinlich nicht. Spionage hat es immer gegeben und es wird sie auch immer geben. Die jüngste Forderung einer Bundestagsabgeordneten, die USA sollten ihre Spionage-Aktivitäten auf deutschem Boden komplett einstellen, ist so naiv wie unrealistisch. Die jüngsten zwei Fälle mutmaßlicher US-Spionage im Bundesnachrichtendienst und im Verteidigungsministerium sind ein unschöner, kleiner Skandal – aber mehr auch nicht. Sie hatten eine konsequente diplomatische Note zur Folge: die Ausweisung des seit etwa eineinhalb Jahren amtierenden deutschen CIA-Repräsentanten.

Natürlich spioniert auch Deutschland in anderen Ländern, und ganz sicher auch in den USA. Die Spionage ist eines der ältesten Gewerbe der Welt. Schon im Altertum beschäftigten Despoten ein Heer von Spitzeln, die oftmals weit mehr verrieten als nur militärische Geheimnisse. Ein zentraler „Schauplatz“ des Kalten Krieges war die Aktivität von Heerscharen hervorragend ausgebildeter Spione, die nach ihre Enttarnung nicht selten in abenteuerlichen Austauschaktionen an Grenzübergängen wieder ihren Auftraggebern zugeführt wurden. Nicht wenige Experten weisen darauf hin, dass die Aktivitäten dieser Dienste weit Schlimmeres verhindert haben in einer dunklen Zeit der Blockpolitik, denn zumindest konnten sich Akteure diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs so ein einigermaßen genaues Bild über die Kampfbereitschaft des Gegners machen.

Diese Argumente sollen Spionage nicht beschönigen oder verherrlichen – sie ist ohne Frage ein „dreckiges Geschäft“. Aber in der Politik sind wir jetzt gefordert, die größeren Zusammenhänge zu betonen, und die lauten nun einmal, dass die USA und Deutschland viel mehr verbindet, als sie trennt. Auch wenn heute kaum jemand mehr so gerne auf die Rettungsaktion der USA während der Berlin-Blockade durch die berühmt gewordenen Rosinenbomber hinweist: es ist ein elementarer Teil der deutsch-amerikanischen Geschichte, gekrönt durch Kennedys Ausspruch „Ich bin ein Berliner“.

Natürlich war diese umfangreiche Hilfsleistung kein altruistischer Freundschaftsdienst. Die USA waren sich geopolitisch zutiefst bewusst, dass ein Abdriften des zentralen europäischen Landes Deutschland in den Kommunismus unbedingt vermieden werden musste. Diese Bedrohung ist heute Gott sei Dank Vergangenheit, aber es spricht noch immer vieles für eine enge Allianz zwischen Deutschland, bzw. Europa und den USA. Das fängt beim bewährten Verteidigungsbündnis NATO an, erstreckt sich weiter über massive Kapitalverflechtungen der beiden Kontinente und findet seinen aktuellen Höhepunkt im geplanten Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership). TTIP und die Spionage-Skandale sind eng miteinander verzahnt, auch wenn sie inhaltlich nichts gemeinsam haben. Denn ausgerechnet kurz vor dem Start der Verhandlungen überschattete ein Skandal die transatlantischen Beziehungen. Damals wurden erstmals Dokumente von Edward Snowden über amerikanische Spionagepraktiken veröffentlicht. Speziell in Deutschland formieren sich seit dieser Zeit die unterschiedlichsten Aktivisten-Gruppen, die vor Chlorhühnern, wachsender Hinterzimmer-Politik der EU und einer geplanten Schattenjustiz für Konzerne durch neue Schiedsgericnte warnen und teilweise auch gezielte Desinformationspolitik betreiben.

Die sozialen Medien verleihen der Protestbewegung dabei eine völlig neue Kraft. Die Online-Plattform Campact startete im vergangenen Winter eine eigene Kampagne gegen TTIP. Inzwischen haben über 600.000 Menschen diesen Aufruf unterzeichnet, viele von ihnen ohne das Wissen, dass Campact seine Kampagnen vor Veröffentlichung intensiv auf die zu erwartende Reaktion testet und auch ansonsten hoch professionell arbeitet. Inzwischen äußerst sich fast jeder Funktionär in Deutschland negativ zu TTIP, es entstehen Anti-TTIP-Bündnisse, die beinahe schon an die Anti-Atomkraftbewegung der 80er erinnern.

Tatsache ist: TTIP würde sowohl den USA als auch Europa einen deutlichen Wachstumsschub verleihen, Experten rechnen mit Raten zwischen 4 und 5 Prozent auf beiden Seiten. Natürlich sind intensive Verhandlungen notwendig, um sowohl europäische als auch US-amerikanische Interessen zu wahren. Und natürlich muss dieser gesamte Prozess politisch transparent und für den Bürger nachvollziehbar durchgeführt werden.

Aktuell steht TTIP nach Expertenmeinung aus Brüssel kurz vor dem Aus: nicht aufgrund realer Fakten, sondern aufgrund einer unnötig emotionalisierten Stimmung in der Bevölkerung. Die Empörungs-Wellen im Umfeld der Spionage-Skandale haben in nicht unerheblichem Maße dazu beigetragen. Aber Äpfel sind nun einmal keine Birnen.

Achim von Michel
Herausgeber mittelstandinbayern.de

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